OffenerBriefOffener Brief an die Bewohner*innen von Wohnprojekten Liebe Bewohner*innnen von Wohnprojekten, vor kurzen war ich seit einigen Jahren das erste Mal wieder zu Besuch bei einem mir seit einiger Zeit bekannten Wohnprojekt. Nun, das Haus war oberlächlich betrachtet wie immer und von der Stimmung im Projekt wurden mir positive Dinge berichtet. Dann fiel das Thema auf den frei gewordene Räume und den schwierigen und vor allem schleppenden Prozess sich zusammen zu entscheiden, was nun aus diesem Raum wird. Hierzu möchte ich Euch allen ein paar meiner Gedanken mitteilen. 1. Wohnprojekte sind Allmenden Das Haus und der Grund gehören den Bewohner*innen und/oder Nutzer*innen oder es wird Euch als Gemeinschaft der Bewohner*innen zu einer günstigen Pacht zur Verfügung gestellt. Es ist damit eine der wenigen Allmenden unserer Zeit. Pflegt sie gut! Findet einen Weg, wie Ihr Euer Haus in die Zukunft führen könnt! Dazu gehört allerdings neben Fensterrahmen lackieren etc. auch mittel- bis langfristig eine grundlegende energetische Sanierung. Diese erheblichen Kosten wollen getragen werden... von wem und wie? Wichtig ist in diesem Fall auch eine langfristige Absicherung wohnen zu bleiben, bestenfalls der Kauf in einem Solidarverbund wie dem Mietshäusersyndikat. Allein um die Frage einer Sanierung zu klären braucht Ihr eine handlungsfähige Struktur, die den Konsens der Bewohner*innen moderiert und umsetzt. 2. Einnahmen des Projekts Ein Argument den momentan freien Raum möglichst bald an zusätzliche Bewohner*innen zu vermieten ist immer: "Wir brauchen Geld." Das ist von aussen, bzw. aus der Position von jemand, der die Zahlen nicht kennt, nicht zu beurteilen. Es gibt allerdings verschiedene Möglichkeiten die Einnahmen des Projekts zu erhöhen. Eine davon sind solidarische Mieten, die sich nach dem Einkommen einer Person richten. Hiermit ist die Frage verbunden, warum jemand eine günstigste Miete zahlen sollte, der zeitgleich voll verdient, bzw. z.B. jemand dessen wohlhabenden Eltern sein Studium finanzieren. Wie wäre es in diesen Fällen mit solidarischen 100 € oder 200 € extra, die in die gemeinsame Kasse fließen? Ich bin mir sicher, das für mindestens die Hälfte der Bewohner*innen vieler Wohnprojekte in den hippen Großstätten Deutschlands, Österreichs oder der Schweiz ein solcher Beitrag verkraftbar wäre. Allerdings ist für eine solche Entscheidung ein erheblicher politischer Wille, persönliche Großzügigkeit und Überzeugungskraft nötig. Auch vermischt es persönliches mit finanziellem, was eine heikle Sache ist. 3. Wohnprojekte haben eine erhebliche Strahlkraft Euer Wohnprojekt bietet Euch durch die in ihm entstehenden Netzwerke, das gelebte Selbstverständnis und die günstigen Mieten die Rückendeckung in der Welt wirken zu können. Manche Bewohner*innen von Wohnprojekten haben sich in den letzten Jahren für sehr verschiedene politische, gesellschaftliche und spirituelle Belange engagiert. So werden und wurden von dem besaten Haus aus stadtpolitische Prozesse initiert und begleitet, selbstorganisierte Hausprojekte in ihrer Gründung begleitet, die Kommunikationskultur in anderen Projekten geheilt, (symbolische) Besetzungen organisiert, Netzpolitik betrieben, die Yogaphilosophie verbreitet, kulturelle Veranstaltungen organisiert, das Zusammenleben gelernt und so viele großartige Dinge mehr! Und dies ist nur ein Beispiel aus einem funkelnden Paralleluniversum verschiedenster Wohnprojekte. Diese Aktivitäten werden aus einer gewissen anarchistischen Freiheit (die natürlich auch konsumiert oder missbraucht werden kann) von Wohnprojekten von einzelnen Bewohner*innen organisiert. 4. Das Plädoyer Schafft mehr Wohnprojekte und nutzt freiwerdenden Raum dafür gemeinschaftlich genutzte Flächen zu schaffen. Richtet einen Umsonstladen ein, wenn es in Eurer Stadt noch keinen gibt, richtet Euch ein rauchfreies Wohnzimmer ein, macht einen schicken Arbeitsraum für Euer Projekt und andere Projekte, einen leeren Raum für Sport, Yoga, Meditation oder für selbstorganisierte Seminare und Treffen daraus. Schafft eine Werkstatt, von der aus ihr Stück für Stück das Haus saniert und renoviert. Schmiedet Pläne, werdet aktiv, bündelt Eure Aktivitäten. Wir brauchen freie und konspirative Räume und entsprechende Aktivitäten für unsere Bewegung in die Zukunft! Ich wünsche Euch von Herzen ein glückliches und sinnstiftendes Zusammenleben! Mit herzlichen Grüßen, Jox www.wissensallmende.org PS: Ich habe einige Jahre in der Lu 15 in Tübingen gelebt und dort mitorganisiert. In dieser Zeit habe ich die Lu und andere Tübinger Wohnprojekte in ihren vielen Facetten kennen und schätzen gelernt. Im Moment engagiere ich mich in Freiburg in einer Gruppe für eine entstehende Lebensgemeinschaft. Ich freue mich über Antworten an: jox@wissensallmende.org Dieser Text steht online unter: http://wissensallmende.org/pmwiki.php/Wohnprojekt/OffenerBrief |